Donnerstag, 12. Januar 2012

Morsezeichen: Zeit zu lügen

Es hat wieder mal geblinkt. Spät am Abend. Hoch oben vom Herrliberger Hügel her über den See hinweg. Direkt in unsere Küche hinein. Ist für dich, hat mein Liebster gesagt und sich dezent mit einem ‚Frauengespräche belauscht man nicht’ zurückgezogen. Ein feiner Schein dringt zu mir. Lang, kurz, kurz, lang, tatsächlich, es ist Silvia. Die an ihrem Stubenfenster steht und an der antiquierten Stehlampe das Licht an- und ausmacht. Ob ich noch wach bin, will sie wissen. Aber natürlich, mors ich mit der Taschenlampe sofort zurück, lange nichts mehr gehört, wie gehts denn dir? Dunkel bleibts, nichts dringt mehr durch den dicken Nebel. Und während ich meine Leuchte aufschraube, um neue Batterien einzusetzen, schimmerts endlich wieder und ich erkenne, das Schimmern ist ein Wimmern. Es geht mir nicht sonderlich gut, meldet sich Silvia zögernd, nach so vielen gemeinsamen Ehejahrzehnten... Pause. Lange Pause. Und ich seh schon die Schlagzeile vor mir: „Christoph verlässt Silvia – ist die junge Nathalie Rickli der Grund?“, da flimmerts erneut: Immer hab ich zu ihm gehalten, all die vielen Jahre. Sämtliche Lügen haben wir gemeinsam abgesprochen. Und uns immer geschworen, nichts wird publik. Wir halten alles unter dem christlichen Deckmantel! Angefangen mit der Ems Chemie, die er damals von der verbliebenen Besitzerfamilie nach dem plötzlichen Tod des Patrons für einen Schnäppchenpreis erlogen hatte. 20 Millionen, mehr gäbe sie nicht her, gar einen unbekannten Käufer hätte er in der Hinterhand. Dass Christoph selbst derjenige war und die Firma über 80 Millionen Wert hatte, verschwieg er. Auch das Lügenkonstrukt um die Basler Zeitung haben wir miteinander gestrickt, den Suter Moritz als Strohmann eingebaut, den Freund Ospel hingestellt, später als fast alles in sich zusammenfiel den Tettamanti vorgeschoben. Und selbst beim Fall Hildebrand: Der nicht von uns bestellte Informatiker, der von diesem eingeschaltete Anwalt Lei, alles gelogen. Und jetzt lese ich in der Zeitung, dass Christoph zugibt, er lüge ja den ganzen Tag! Sähe er eine Frau, die hässlich sei, dann sage er ihr doch nicht, sie sei hässlich. Er sage: Sie sehen ja noch hübsch aus. Und weisst du, was er mir jeden Morgen beim Aufwachen, am Mittag und vor dem Schlafgehen ins Ohr säuselt, blendet sie mir fragend in die Küche. Ich schüttle den Kopf und seh leuchtend die Antwort: DU SIEHST JA NOCH HÜBSCH AUS!

Montag, 9. Januar 2012

Schlossgespräche: Vorbei die Zeit zu schweigen

Seit Tagen schon leert der Himmel schwere Schneeflocken über den Rhäzünser Boden. Meterhohe Schneewälle hüllen das Schloss ein. Christoph steht am Fenster, zieht den samtenen Vorhang leicht zurück und schaut ins Weiss hinaus. Man könnte meinen, der liebe Gott wolle etwas zudecken, aber nicht mit uns, jetzt ists Zeit aufzudecken, poltert er und klopft dem jungen Informatiker der Bank Sarasin auf die mageren Schultern. Am lodernden Kaminfeuer wärmt sich Roger Köppel seine Fingerknöchel auf, den Laptop auf den Knien, bereit, jeden Satz zu dokumentieren. Mein Hofschreiber, flüstert Christoph dem IT-Mann ins Ohr, du kannst ihm vertrauen. Er ist mir fast treuer als mein eigener Sohn. Roger rückt sich leicht verlegen die Brille zurecht, Komplimente hört er selten. In diesem Moment tritt Hans Kaufmann in das Herrenzimmer. Wunderbar, mein Zürcher Lehnsmann hat den Weg in das Bündner Refugium gefunden, begrüsst Christoph seinen Nationalratskollegen und bittet die Versammelten, sich an den polierten schweren Eichentisch zu setzen. Roger, lass das Feuer sein und komm zu meiner Rechten, heisst er den Köppel. Zur Linken der Kaufmann, obwohl er ja sonst ein ganz Rechter ist, zwinkert Christoph kurz. Ihm zur Seite der Informatiker, der sich schüchtern vorne auf die Kante des brokatenen Stuhles setzt. Sein leicht schwermütiger Blick schweift zu den grossen Fenstern hin, tief, tief unten treibt der Rhein, ein paar Schritte bloss, ein kurzer Sprung... Wollen wir die Sache hier beenden, beginnt Christoph, die Zeit zu schweigen ist vorbei, jetzt wird gesprochen. Hildebrand ist untragbar, er hat seine Frau nicht im Griff, ein gemeinsames Konto hätte ich meiner Silvia nie erlaubt. Wie weiss man da, wann und wo sie darauf zugreift? Und wie soll ich dann noch beweisen können, dass ich davon nichts gewusst habe? Eben. Dank unserem aufmerksamen Freund, dem ich selbstverständlich einen kleinen Zustupf von meinem eigenen Konto überweisen werde, haben wir den Hildebrand endlich abgebrannt.
Derweil der IT-Mann starr zum Fenster hinausblickt, klöppelt Roger seine Finger flink über die Tastatur seines Computers. Hans Kaufmann schweigt, er hat seine Schuldigkeit getan und beim Abgang fällt ihm auf, dass am anderen Ende des Tisches, fernab des schimmernden Kaminfeuers, ein weiterer Gast im Halbdunkeln sitzt, welcher unentwegt an seiner Fliege zupft. Endlich ist der Moment gekommen, den Schweizer Bankenplatz zu retten, fährt Christoph fort, wir haben nun den Auftrag den besten Mann an die Spitze der Nationalbank zu befördern: Meinen lieben, guten Freund Martin Ebner.