Freitag, 30. August 2013

Schlossgespräche: Der neue Despot

Christoph steht im Herrenzimmer in seinem Schloss Rhäzüns, hoch über dem noch jungen Rhein. Er schaut nachdenklich durchs Fenster hinab zum ungestümen Wasser, welches sich wild in Wellen wirft, als ob es hier schon wüsste, dass es alsbald die Schweizer Lande verlassen muss, um seinen Weg in einem unsicheren Europa fortzusetzen. Christoph schüttelt diesen traurigen Gedanken ab, er hat weiss Gott andere Probleme im Moment. Freysinger hat einen neuen Kommunikationsberater. Der ihm helfen soll, seine prosaischen Reden zu schreiben. Hat Freysinger nicht jeweils grossmäulig verkündet, selbst eine dichterische Ader zu besitzen? Da klopft es fein an der Tür, Christoph weiss, das kann nur seine Silvia sein, die den eilends herbeigerufenen Gast zu ihm bringt. Herein, ruft er ungeduldig und Silvia zu, sie solle doch dem Mörgeli ausrichten, eine Karaffe Herrschäftler aus dem Schlosskeller zu holen! Seit Mörgeli seine verstaubte Stelle im Medizinhistorischen Institut in Zürich verloren hat, dient er bis auf Weiteres hier in den Schlossräumen von und zu Rhäzüns. In schwierigen Situationen muss die Familie zusammenhalten, hat Christoph ihm damals gesagt, und statt Trübsal blasen kannst du dich ebenso gut nützlich machen. Christoph setzt sich an den runden Eichentisch, rechts neben seinen treuen Hofschreiber Köppel. Freysinger tritt ein, Meister, begrüsst er Christoph, ich bin auf schnellstem Weg vom Wallis hierher geflogen, Ueli hat mir einen Gripen ausgeliehen, zwinkert er kriegslustig. Christoph schüttelt den Kopf. Wenn du vorher deine genialen Einfälle mit mir besprichst, könnten wir uns solche Kurztripps auf Staatskosten sparen. Wie um Himmelswillen kommst du bloss auf diese abstruse Idee, den Slobodan Despot einzustellen? Ein Despot als deine schreibende Hand? Freysinger schluckt leer, ich dachte, der Despot sei die beste Wahl, weit herum als „brillante Feder“ bekannt. Köppel rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Die Brillanz ist einzig mir zuzuschreiben, ich nehm das so ins Protokoll, nuschelt er und drückt seine Brille auf dem Nasenrücken zurecht. Von Slobodan sagt man, er sei ein Genozid-Leugner, blafft Christoph, der das Massaker in Srebrenica als unbeabsichtigter Völkermord sieht und somit der UNO widerspricht. Freysinger nickt und Christoph doppelt nach: Der UNO widersprechen und dann als Nächstes der EU widersprechen? Plötzlich verstummt Christoph. Er hält inne und blickt langsam über seinen Brillenrand hinaus direkt in Freysingers Augen: Vielleicht hast du recht, Oskar, und es braucht tatsächlich einen weiteren Despoten in unserer Reihe! Hast du das aufgeschrieben, Köppel? In diesem Moment tritt Mörgeli mit dem Weinkrug ins Zimmer. Füll zügig die Gläser auf, strahlt Christoph, wir feiern ein neues Gebot: Er lebe hoch, der zweite Despot!



Donnerstag, 22. August 2013

Morsezeichen: L’Expérience Blocher


Ein heftiger Lichtstrahl trifft mich abends mitten ins Gesicht. Ich steh auf und schau zur Goldküste herüber, nehme die extrastarke Taschenlampe vom Fenstersims und leuchte in kurzen Abständen zur anderen Seeseite: Silvia, ich hab schon gedacht, ihr hättet Herrliberg verlassen!
Seit Jahren schon tauschen wir uns regelmässig aus. Kommen die Lichtzeichen spärlich, mach ich mir Sorgen ob wohl alles mit rechten Dingen zu und her geht. Drüben am Hügel des Pfannenstiels. Alles bestens, morst Silvia, sie habe sich nach dem schillernden cineastischen Startschuss in Locarno ein paar ruhige Tage gegönnt. Die Premiere von „L’Expérience Blocher“ am Filmfestival von Locarno sei derart geglückt, dass sogar die ewig nörgelnde Susanne Leutenegger Oberholzer erst sprachlos war und später wortreich den Regisseur bedrängt hätte, einen ebensolchen eindrücklichen Film über ihr Leben zu drehen. Ha, das ist natürlich Humbug, wo Leutenegger Oberholzer draufsteht ist noch lange nicht Christoph Blocher drin! Und wer bitte sehr – ausser Susanne selbst – würde diesen wohl doch eher sparsam besetzten Kurzfilm sehen wollen? Eben. Zudem sollten Frauen in einem gewissen Alter von Nahaufnahmen Abstand nehmen, zündet Silvia weiter, will man tiefe Furchen sehen, schaut man sich lieber eine Doku über die Viamala an. Wechseln wir auf etwas Wichtiges, fährt Silvia fort, ich bin diesen Sommer oft zitiert worden, mein kluges Statement zu den jungen Müttern von heut hat für ein Rauschen im Blätterwald gesorgt. Es liegt mir tatsächlich am Herzen, dass sich die jungen Mütter auf die wahren Werte des Lebens besinnen, nämlich um das Wohl des Ehemannes und der Kinder. Die meisten Frauen gehen bloss arbeiten, weils grad ‚en vogue’ ist und die Freundinnen es chic finden. Moment, leuchte ich dazwischen, das zweite Einkommen ist existenziell für die meisten Familien! Ich hätte ja auch gern eins! Kurz ist kein Licht von Herrliberg her auszumachen, dann erscheint es erneut: Ich kenne niemand, der zur Arbeit gezwungen wird, in meinem Umfeld sind bestausgebildete Frauen am Herd geblieben, höchstens von einer Köchin, einer Nanny und einer Zugehfrau unterstützt, ansonsten war die Frau auf sich alleine gestellt. Ich hab das selber hingebungsvoll gemacht: Ich mit den Kindern daheim und mein Christoph in der Wirtschaft. Und alle sind wir erfolgreich geworden, verkündet Silvia kräftig. Arbeitet Magdalena nicht zu hundert Prozent bei der Ems-Chemie, frage ich blinkend. Ja, ja, blitzt es subito zurück, nur ist das etwas ganz anderes, unser Magdeli ist stark, gescheit und selbstbewusst, sie steht ihren ganzen Mann. Dazu hab ich sie erzogen. Selbstständigkeit ist das A und O, auch in einer guten Beziehung, berichtet Silvia weiter, nun jedoch muss ich aufhören, Christoph will morgen früh raus und ich soll ihm noch die Kleider zurecht legen.
Das Licht bricht ab und es ist wieder ganz dunkel über dem Zürichsee. Schwarz wie Oprah Winfrey. Aber für die Handtaschen-Geschichte ists jetzt zu spät.